Printausgabe „Blick am Abend“ wird eingestellt
Das Schweizer Modell der Gratiszeitungen schwankt


 
29.11.2018
 ► nico • Ringier stellt die gedruckte Ausgabe von „Blick am Abend“ am 21. Dezember ein und reagiert damit nach eigenen Angaben auf schwindende Werbeaufträge und schlechte Prognosen für seine Gratiszeitung am Schweizer Werbemarkt. Wenn ein Medium mit einer Auflage von knapp 230.000 Exemplaren eingestellt wird, ist das keine gute Nachricht für das Medium Print. Es könnte aber auch ein Signal dafür sein, dass „kostenlos“ nicht immer funktioniert.
Den Run auf Gratiszeitungen hatte zur Jahrtausendwende der skandinavische Schibstedt-Verlag mit „20 Minuten“ europaweit ausgelöst und den Kampf um die Aufmerksamkeit der Schweizer Pendler eröffnet. Nach ersten Erfolgen übernahm Tamedia 2005 das Blatt und zwischenzeitlich versuchten diverse Titel wie etwa „.ch“, „News“ oder „Cash daily“ in den Schweizer Metropolen Fuß zu fassen. „Blick am Abend“ erschien erstmals im Juni 2008 und löste als Abendblatt die im Jahr 2006 von Ringier lancierte Pendlerzeitung „heute“ ab. Schon damals stellten Kritiker die Frage, ob es bald mehr werbefinanzierte Zeitungen als Anzeigen gebe? Offensichtlich, denn den Kampf um die Anzeigen hat schliesslich nur „20 Minuten“ überlebt.
Gleichzeitig haben auch die traditionellen Tageszeitungen in der Schweiz an Gewicht verloren. Und die Frage muss erlaubt sein, ob die Gratiszeitungen nicht vielleicht auch ursächlich für die Erosion am Schweizer Zeitungsmarkt verantwortlich sind? „Ich habe nie verstanden, wie man publizistische Leistung gratis anbieten kann“, sagte die scheidende Medienministerin Doris Leuthard erst vor wenigen Tagen am Journalismustag in Winterthur. Denn mit den Gratiszeitungen hat sich natürlich eine Mentalität des Kostenlosen eingeschlichen, unter der die gesamte Schweizer Tagespresse (und nicht nur die) leidet. Beweisen lässt sich das nicht, zumal es in Ländern ohne Gratiszeitungen wie etwa Deutschland um die Tagespresse ja auch nicht besser bestellt ist.
Dennoch bietet die Schweizer Zeitungslandschaft inzwischen ein erschreckend trauriges Bild. Bei der Recherche zu diesem kleinen Beitrag sind wir bei den Tageszeitungen mit ganz wenigen Ausnahmen nur auf wortgleiche, der Ringier-Presseinformation folgende, Beiträge gestoßen. Von Vielfalt bei den gedruckten Medien kann in der Schweiz offenbar kaum noch die Rede sein. Das Jahrbuch „Qualität der Medien“ bestätigt unsere Beobachtung: „Neben der besorgniserregenden Medienkonzentration hätten Maßnahmen der Medienhäuser wie redaktionelle Mantelsysteme zu einem weiteren Verlust an Vielfalt geführt“, heißt es in der Studie. Ob man der Gratiszeitung „Blick am Abend“ nun nachtrauern muss oder nicht, steht nicht zur Debatte. Aber es ist ein weiterer Schlag ins Kontor der gedruckten Medienvielfalt.
Aber das scheint kaum jemanden zu stören. Hauptsache, das digitale Angebot des „Blick am Abend“ wird weitergeführt.  


 

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